schwer (rot) bis leicht (grün)
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Leichte Sprache ist nicht gleich Einfache Sprache?

Wer Sprache leicht machen möchte, hat zwei Formen zur Auswahl: Die Leichte und die Einfache Sprache. Doch was unterscheidet beide? Dieser Frage gehe ich in diesem Beitrag nach.

Ein Pfeil von rot (schwer) nach grün (leicht)

Grad der Einfachheit

Kurz gesagt entspricht die Leichte Sprache der maximalmöglichen Vereinfachung. Die nächste Stufe, die ein bisschen weniger leicht ist, bildet dann die einfache Sprache.

maximale Einfachheit vs. nicht ganz so einfach

Anschaulicher gestalten es einige, indem sie den Vergleich zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (kurz: GER) ziehen: Leichte Sprache entspräche dem Niveau A1, einfache Sprache hingegen eher A2 bis B1.

GER Niveau A1 vs. Niveau A2-B1

Hier ein Auszug aus den Kompetenzen, über die man laut GER beim Fremdsprachenerwerb in den verschiedenen Stufen verfügen sollte:

Beschreibung der Kompetenzen in den verschiedenen Niveaustufen.

Die Teile, die im Prinzip auch auf die Leichte Sprache übertragbar sind, habe ich gelb markiert. Einige Teile passen nicht, denn der GER geht davon aus, dass die verschiedenen Kompetenzstufen nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich gestaffelt sind. Schließlich geht es um den zunehmenden Erwerb von Sprachkenntnissen. Das Ziel von Leichter Sprache ist aber ja gerade, auch komplexe Inhalte für alle zugänglich zu machen, und zwar durch die  extreme sprachliche Vereinfachung. Inhaltlich soll also gerade nichts ausgeklammert werden.

Erweitert man die oben genannten Definitionen aber um ein„ohne Erklärungen“, so passt es schon eher:

A1: Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze ohne Erklärungen verstehen.

A2: Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke ohne Erklärungen verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung).

B1: Kann die Hauptpunkte ohne Erklärungen verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht.

Mein Eindruck ist: Durch die Einteilung nach dem GER gewinnt das Ganze scheinbar an Professionalität, wirkt exakt und messbar. Aber wirklich trennscharf ist die Differenzierung nicht. Zumal jede:r Übersetzer:in einen eigenen Stil entwickelt und damit auch unterschiedlich „schwer“ zu verstehen ist. So gibt es Texte in Leichter Sprache, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich komplexer sind als andere, die unter dem Etikett der einfachen Sprache laufen. Wer es sich einfach macht, sagt: Der Grund ist, dass es viele schlechte Texte gibt. Das ist zweifellos wahr. Aber auch eine Leichte Sprache, die sich gewisse Freiheiten erlaubt, kann absolut verständlich sein. Weil sie inhaltlich leicht zu erfassen, gutstrukturiert oder gestaltet ist. Und vielleicht sogar gerade weil sie sich stilistisch freier und damit flüssiger liest.

Einfluss auf die eigene Schreibe hat sicher auch, welche Art Texte ich sonst noch so verfasse. Die Einfache Sprache einer Journalistin oder eines Journalisten ist vielleicht komplexer als die Texte von jemandem, der ansonsten Texte in Leichter Sprache schreibt. So sind meine Texte zum Beispiel in Einfacher Sprache im Vergleich zu anderen sehr leicht. Ich erlaube mir ein paar Nebensätze mehr und erkläre nicht ganz so viel, die Schriftgröße ist kleiner und ich verwende nicht unbedingt Bilder. Und das Wichtigste: Ich lasse den Text nicht prüfen (dazu weiter unten mehr). Aber die Zeilen bleiben immer noch kurz, ich arbeite immer noch viel mit Aufzählungen und formuliere weiterhin möglichst aktiv, positiv und konkret (vermeide also Passiv, Verneinungen und Metaphern). Noch mehr verschwimmen die Grenzen beim Dolmetschen in Leichte Sprache.

Vielleicht ist die fehlende Trennschärfe zwischen Einfacher und Leichter Sprache ein Grund dafür, dass die Texte bei capito zwar auch in Schwierigkeitsstufen von A1 bis B2 gestaffelt sind, die Unterscheidung zwischen einfach oder leicht gibt es aber nicht. Stattdessen wird hier von Leicht Lesen gesprochen (capito ist ein österreichisches Franchisesystem, zu dem auch in Deutschland viele Büros gehören).

Regeln

strenge Regeln vs. keine festen Regeln

Häufig genannt als Unterschied werden auch die Regeln der Leichten Sprache bzw. das Nichtvorhandensein von festen Regeln bei der Einfachen Sprache.

Dazu sei gesagt, dass in Deutschland die Leichte Sprache gerne über ihre Regeln definiert wird. Nach und nach sind verschiedene Regelwerke entstanden, die heute parallel im Umlauf sind. Die wichtigsten sind zwei:

1. „Leichte Sprache. Ein Ratgeber“ vom Netzwerk Leichte Sprache. Dieses Heft basiert auf den praktischen Erfahrungen der Autor:innen.

2. „Leichte Sprache. Das Regelbuch“ von Christiane Maaß (Forschungsstelle Leichte Sprache der Uni Hildesheim). Maaß hat hierfür die bestehenden Regelwerke aus sprachwissenschaftlicher Perspektive unter die Lupe genommen und darauf aufbauend einen eigenen Regelkatalog entwickelt. Auch diese Regeln basieren aber nicht auf empirischer Forschung.

Im Vergleich sind die „Hildesheimer Regeln“ sehr viel genauer als ihre Vorgänger, damit aber auch sehr viel strenger. Beim Texten oder Übersetzen sind beide Regelwerke sehr hilfreich. Ich selbst habe meine ersten Schritte im Selbststudium mit dem Arbeitsbuch von Christiane Maaß gemacht, das im Duden-Verlag erschienen ist und auf dem Maaß-Regelwerkbasiert. Der Vorteil dieser Regeln: Ich bekomme konkrete Anweisungen an die Hand, wie ich mit unterschiedlichen grammatischen Strukturen umgehen kann. Mitzunehmender Erfahrung habe ich mich aber immer mehr von diesen starren Regeln gelöst. Ich empfand sie als zu einschränkend. Man kann es mit dem Schreiben lernen vergleichen: Für den Anfang helfen strenge Vorgaben. Mit der Zeit jedoch entwickelt jeder seine eigene, ganz individuelle Schrift.

Es gibt nun Stimmen, die alles, was sich außerhalb der strengen „Hildesheimer Schule“ befindet, als „keine Leichte Sprache“ oderschlichtweg schlecht bezeichnet. Damit bin ich nicht einverstanden. Ich denke: Ein Text kann absolut regelkonform und trotzdem inhaltlich schwer verständlich sein. Genauso aber kann ein Text auch super sein, obwohl er einfache Nebensätze oder andere „verbotene Strukturen“ verwendet. Zum Beispiel helfen mir die Regeln nur begrenzt bei der Frage, welche Begriffe ich erkläre und welche ich voraussetze. Und noch wichtiger: Sie helfen mir nicht dabei, wie ich sie erkläre. Dass ich mit meiner Meinung nicht ganz allein bin, zeigen die „Angemessenheitsfaktoren“ von Bettina Bock: Sie schlägt vor, die Regeln eher als Faustregeln zu verstehen, da sie allein nicht ausreichten. Stattdessen müsse ich alle Faktoren bedenken, die zu einem Textgehören (Leser:innen, Zweck, Inhalt, Situation und Autor:in/Auftraggeber:in).

Natürlich sind Regeln auch eine Form der Legitimierung gegenüber Kritiker:innen. Denn: Regeln machen die Qualität der Texte überprüfbar. Aus genau diesem Grund möchten einige vergleichbare Regelkataloge auch für die einfache Sprache entwickeln bzw. haben dies bereits getan. Zum Beispiel Mansour Neubauer. Er veröffentlichte ein Arbeitsbuch zur einfachen Sprache, indem er „Grundregeln, Beispiele und Übungen“ vermittelt.  Das Buch stellte er am 29. Mai in Bremen beim Gründungstreffen des „Netzwerks einfache Sprache“ vor, das er selbst initiierte. Bei dem Treffen sprachen sich mehrere Teilnehmende – allen voran Mansour – für eine weitere Ausarbeitung von Regeln für die einfache Sprache aus. Gleichzeitig schreibt Mansour in seinem Buch: „Da der Einfachen Sprache kein striktes Regelwerk zugrunde liegt, ist sie komplexer, lebendiger und vielfältiger als die Leichte Sprache“ (S. 11). Dies liest sich eher so, als wäre das Fehlen klar definierter Regeln gerade die Stärke der einfachen Sprache und eine weitere Ausarbeitung eher kontraproduktiv. Ich bin gespannt, wie es in diesem Punkt weitergeht.

Andere Zielgruppe

Hauptzielgruppe Menschen mit Lernschwierigkeiten vs. Hauptzielgruppe Menschen mit Migrationsgeschichte

Eine weitere Form der Unterscheidung ist über die Zielgruppe. Leichte Sprache richte sich in der Regel an Menschen mit Lernschwierigkeiten, einfache Sprache hingegen an Menschen mit Migrationsgeschichte. Aber auch hier ist es nicht immer so eindeutig: In der Praxis richten sich auch viele Texte in Leichter Sprache an Menschen mit Migrationsgeschichte. Andere Texte richten sich an beide Zielgruppen gleichzeitig. Zum Beispiel habe ich für Handicap International Texte über Menschen mit Behinderung in anderen Ländern übersetzt (hier und hier und hier). Zudem gibt es natürlich auch Menschen mit Lernschwierigkeiten aus anderen Ländern – auch hier kann es also Schnittstellen geben.

Inhaltliche Reduktion

inhaltliche und sprachliche Reduktion vs. nur sprachliche Reduktion


Auf der Seite des iq Netzwerks Bremen schreibt Neubauer: „Anders als ‚leichte Sprache‘ schreibt ‚einfache Sprache‘ keine inhaltliche Verknappung vor“. Er hat recht, dass bei der Übertragung in Leichte Sprache meistens der Inhalt komprimiert werden muss. Denn Leichte Sprache hat ein Hauptdilemma: Weil ich viel mehr erklären muss, weil ich Unausgesprochenes explizit machen muss, weil die Schrift und der Zeilenabstand größer sind, wird die Übertragung automatisch länger. Gleichzeitig habe ich aber eine Leserschaft, deren Lesekompetenz gering ist. Das zwingt mich dazu, mich inhaltlich zu begrenzen. Die Frage ist, ob das auf die Einfache Sprache wirklich nicht zutrifft. Denn: Das Lesen wird hier vielleicht nicht durch eine kognitive Beeinträchtigung erschwert. Aber auch die Leser*innen der einfachen Sprache strengt Lesen mehr an als geübte Leser:innen, die in ihrer Herkunftssprache lesen.

Machen wir es uns einfach

Sehr einfach macht sich die Unterscheidung die Lebenshilfe Berlin in einer Broschüre über Jugendschutz:

Zielgruppenprüfung

Verständlich, dass ein Büro der Lebenshilfe sich für Texte in Leichter Sprache einsetzt: Schließlich resultiert die Leichte Sprache aus dem langen und unermüdlichen Einsatz von Menschen mit Lernschwierigkeiten und ihren Interessensvertretungen – wozu auch die Lebenshilfe gehört. Und schließlich ist für die Interessensvertreter:innen der wichtigste Unterschied, dass bei der Leichten Sprache Menschen mit Lernschwierigkeiten am Entstehungsprozess der Texte teilhaben, und zwar als Prüfer:innen. Bei der Einfachen Sprache dagegen erfolgt üblicherweise keine Zielgruppenprüfung.

geprüft durch Zielgruppe vs. nicht geprüft durch Zielgruppe

Bei dem bereits erwähnten Gründungstreffen des Netzwerks einfache Sprache wurde aber auch dieser Punkt in Frage gestellt. Stattdessen wurde diskutiert, ob nicht auch Texte in einfacher Sprache von der Hauptzielgruppe – also Menschen mit Migrationsgeschichte  –  geprüft werden sollten.

Rechtsanspruch

Leichte Sprache vs- Einfache Sprache

Oft wird als unterscheidendes Merkmal auch der Rechtsanspruch auf Leichte Sprache genannt, der für Menschen mit Lernschwierigkeiten gilt. Genau gesagt steht im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): „Träger öffentlicher Gewalt sollen Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitstellen“ ( § 11 BGG Art. 4 ). In der Praxis heißt das: Ministerien und immer mehr Verwaltungen ergänzen ihr Internetangebot um eine Seite in Leichter Sprache, auf der die grundlegenden Funktionen der jeweiligen Institution erklärt werden. Darüber hinaus wird meist aufgeführt, zu welchen Themen sich Besucher auf der Seite informieren können. Diese Inhalte sind dann aber nicht in Leichter Sprache. Denn das würde bedeuten, dass die Seite in Leichter Sprache konstant aktualisiert werden müsste. Der Sinn dieser Alibiübersetzungen ist in dieser Form zweifelhaft. Denn: Wer geht schon auf die Seite eines Ministeriums, um in Erfahrung zu bringen, was das Ministerium so macht? Stattdessen ist zu vermuten, dass die Besucher ein konkretes Bedürfnis haben. Und das wird so nicht befriedigt.

Trotzdem ist die Verankerung im BGG ein wichtiger Schritt: Die vermehrte Präsenz von Leichter Sprache auf öffentlichen Seiten hat die Leichte Sprache definitiv bekannter gemacht. Dies zeigt sich beispielsweise in einer steigenden Nachfrage in allen Sparten und Bereichen der Gesellschaft –von Kultur über Kirche bis hin zur Wirtschaft (selbst der Baumarkt toom hat mittlerweile eine „Heimwerker-Broschüre in Leichter Sprache“ herausgegeben).

Unterm Strich kann man sagen: Das BGG hat zu einem steigen den Bewusstsein geführt, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Recht auf Teilhabe an Informationen haben und, dass Leichte Sprache ein Weg dafür ist. Gleichzeitig steigt aber auch die Nachfrage an Texten für Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Texte werden oft als „Einfache Sprache“ etikettiert.

Fazit: Leichte Sprache, Einfache Sprache – beim genaueren Hinsehen ist die Eingrenzung komplexer als gedacht. Oder legen wir uns selbst Steine in den Weg mit unserem Bemühen, Dinge zu trennen, die gar nicht so verschieden sind?

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