
Welchen Anteil hat Kultur in unserem Leben? Wir unterhalten, aber wie das Verb beinhaltet, wir halten von unten. Kultur stützt die Menschen in ihrer Verzweiflung, Trauer, in ihrer Lust, Freude, ihrem Lachen, ihrem Mut und ihrer Zuversicht. Sie lässt ihre Gehirne wachsen, nährt ihre Sicht, ihren Aufbruch, klärt und hinterfragt.
Herbert Grönemeyer in Die ZEIT, 4. November 2020
Kultur bereichert – alle. Auch Menschen, die leicht verständliche Texte brauchen. Trotzdem sind die meisten Texte in Leichter Sprache ziemlich nüchterne Gebrauchstexte. Sie sollen informieren. Trauer? Lust? Freude? Völlig egal.
Zum Glück kommt immer mehr Leichte Sprache in die Welt, und damit auch mehr kulturelle Projekt. Veranstaltungen in Leichter Sprache, Ausstellungen mit Führungen oder Audioguides in Leichter Sprache- Und allem voran Leichte Sprache in geschriebener Form.
In diesem Beitrag soll es um Leichte Sprache im Museum gehen – einer meiner Lieblingsbereiche.
Mehr Teilhabe im Museum!
Auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten
Ein Museum hat sich überlegt, ihr barrierefreies Angebot um die Leichte Sprache zu erweitern. Doch wo anfangen? Oft ist der erste Schritt ein kurzer one pager auf der Website mit den wichtigsten Infos in Kürze. Doch: Ist das wirklich eine gute Idee? Eine Website soll Lust machen, das Museum zu besuchen. Wenn einen im Museum selbst dann aber nur Verstehensbarrieren erwarten, ist das enttäuschend. Das ist Werbung ohne Inhalt.
Ok, starten wir besser im Museum. Aber auch hier gibt es jede Menge zu überlegen: Soll es ein Audioguide werden? Oder Wandtexte? Oder doch lieber ein Begleitheft? Oder reicht das Budget sogar für mehrere Formate? Ist es zielführend, alle Informationen zu übertragen? Soll die Brückenfunktion gegeben sein? Sprich: Soll der Besuchende zwischen Ausgangstexten und Leichter Sprache hin- und herswitchen können?
Jede Frage führt zu weiteren Fragen. Schnell wird deutlich: Einfach mal schnell die Texte übersetzen, funktioniert nicht. Sollen die Inhalte ankommen, muss zunächst ein gut durchdachtes Konzept erarbeitet werden. Hier hat sich gezeigt: Am zielführendsten ist es, wenn dies Menschen aus verschiedenen Bereichen des Museums gemeinsam entwicken – zum Beispiel bei einem halbtägigen Workshop.
Erste inhaltliche Überlegungen
Geht es um den Inhalt, sollte ich mich zunächst fragen:
- Gibt es ein Überthema, dass sich durch das ganze Museum zieht? Dann ist eine lineare Führung angebracht, also eine feste Route für den Museumsbesuch. Ansonsten muss man im Prinzip an jeder Station erstmal die Grundkonzepte einführen.
- Alternativ könnte man die Grundkonzepte auslagern, beispielsweise in ein Glossar auf Papier. Das bedeutet aber, dass man zwischen zwei Medien hin- und herwechseln muss. Das schaffen sicher nicht alle. Aus diesem Grund sagen die Netzwerk-Regeln, man solle Verweise vermeiden und alles direkt im Text erklären.
- Sind die Stationen unabhängig voneinander? Dann kann die Reihenfolge frei sein.
Die Wahl des Mediums
Wandtexte
Eine sehr gute Lösung. Das Personal muss nicht entscheiden, wem es ein Begleitheft in Leichter Sprache anbietet und wem nicht. Man erreicht also sehr viel mehr Menschen. Ich wage mal zu behaupten, dass 95% der Besucher:innen zumindest teilweise lieber die schnell erfassbaren Informationen in Leichter Sprache konsumieren wird. Dies erhöht aber natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendein Akademiker mit Angst um die deutsche Sprache über die unpräzisen oder „verdummenden“ Inhalte mokiert (weshalb so wichtig ist, dass inhaltlich alles korrekt ist). Das wirkliche Problem ist aber in vielen Fällen: Es muss genug Platz sein. Oft soll die Leichte Sprache ja nachträglich integriert werden. Das ist oft schwierig.
→ Wie immer bei der Barrierefreiheit, gilt also auch hier: Besser, man plant die Leichte Sprache von Beginn an mit ein.
Begleitheft
Ein Begleitheft ist einfacher umzusetzen, im Umfang weniger begrenzt und man kann später nochmal alles in Ruhe nachlesen (wie viele Menschen das wirklich tun, ist eine andere Frage). Dafür erreichen wir weniger Besucher:innen.
Wichtig ist, dass man ein Format wählt, dass genug Platz für große Schrift und Bilder lässt, und gleichzeitig gut im Stehen gelesen werden kann. Ich empfehle immer 20×20 cm, aber es funktioniert auch die schmalere DIN A5-Variante. Nicht so geeignet sind Flyer in DIN lang oder DIN A4. Daneben sollte das Papier fest genug und möglichst matt sein. Damit das Heft auch beim Laufen oder bei motorischen Einschränkungen nicht von selbst zuklappt, bietet sich eine Spiralbindung an.
Also nochmal zusammengefasst:
- Format 20×20 cm
- festes, mattes Papier
- Spiralbindung
Audioguide
Ein Audioguide ist eine super Idee. Insgesamt geht der Trend ja zu auditiven bzw. audiovisuellen Medien – egal, ob Podcast, Hörbuch oder Youtube-Video. Das ist definitiv auch bei Menschen mit Leseschwierigkeiten so. Es lebe der Erfinder der Sprachnachricht!
Wichtig ist: Unser Audioguide sollte einfach zu bedienen sein und die Führung sollte insgesamt nicht länger als eine Stunde dauern. Das heißt: Wir müssen stark auswählen und kürzen. Denn ein Text in Leichter Sprache wird im Schnitt drei bis viermal länger als das Original.
An anderer Stelle werde ich nochmal genauer auf das Thema Audioguide eingehen. Für den Moment soll es aber so reichen.
Fazit
Ideal ist natürlich ein Mix: Eine Führung in Einfacher Sprache, ausgewählte Wand- und Objekttexte sowie ein Begleitheft für tiefergehende Informationen.
Und wir haben noch nicht mit der Vermarktung angefangen. Hier kommt die Website ins Spiel und vielleicht noch ein Flyer für Menschen ohne Internetzugang. Beides soll neugierig machen.
Doch nicht nur das. Hier müssen auch grundlegende Informationen vermittelt werden wie: Komme ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Museum? Oder: Ist das Museum auch für Menschen mit Rollstühlen barrierefrei?
Ein paar Beispiele zum Stöbern …
Umfassende Konzepte sind leider eher die Ausnahme – noch. Ich habe aber eine ganze Reihe an Beispielen für Leichte Sprache im Museum zusammengetragen. Dazu kommen Museen, die ein Begleitheft in Druckform erstellt haben. Da diese oft nicht online zur Verfügung stehen bzw. beworben werden, tauchen sie hier nicht auf.
Mich interessiert nun: Was findest du gut gelungen? Was könnte man noch verbessern? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar!
Übrigens: An dieser Stelle gehe ich nicht weiter darauf ein, was eine gute Website in Leichter Sprache mitbringen sollte. Meine Kooperationspartnerin Anja Teufel erklärt das aber eingehend am 14. und 28. Juni 2021 in einer praktischen Online-Schulung :).
- Freilichtmuseum am Kiekeberg (gut durchdachte Website)
- Stadtmuseum Simeonstift Trier (Das Kommunistische Manifest in Leichter Sprache – Begleitheft zur Ausstellung)
- SMAC – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz (gut durchdachte Website, Führungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten)
- Salzburgmuseum (sehr umfangreiche Website, Leichte Sprache als Äquivalent zur Alltagssprache, Texte in dem meisten Ausstellungen und Führungen)
- Deutsches Historisches Museum (umfangreiches Konzept, Führungen in Einfacher Sprache, Texte in Leichter Sprache)
- Historisches Museum in Frankfurt (Website in Leichter Sprache, Multimediaguide durchs Museum erarbeitet von Werkstattbeschäftigten)
- Historisches Museum der Pfalz in Speyer (Website mit Schwächen, breiteres Konzept in Planung)
- Deutsches Hygienemuseum Dresden (sehr umfangreiches barrierefreies Angebot, u.a. Website u. Führungen in Leichter Sprache)
- Bundeskunsthalle (umfangreiche Website mit Schwächen)